Wenn nicht heute, dann wär´s wohl morgen oder doch zu einem anderen Zeitpunkt…? Egal, auch ich begebe mich auf eine Reise durch das enden wollende Jahr 2014 und möchte meine persönlichen künstlerischen Highlights aus dem Jahr 2014 zusammenfassen.
Wie die meisten Personen dieser Website bereits wissen, bin ich seit 2010 mit der Erarbeitung meiner These zu Crowd and Art beschäftigt, bei der es vor allem um den Einfluss des Internets (oder computergestützter, vernetztes Devices) auf Partizipation in der Kunst geht. Ich bin gerade dabei meine These abzuschließen, wo ich vor allem auf neue Formen – nämlich unbewusste und unfreiwillige Formen – der Partizipation eingehe und behaupte, dass Partizipation in der Kunst nicht unter Ausblendung der Kunst mittels kommunikationstechnologischer Errungenschaften behandelt werden kann. Auch im Jahr 2014 wurde ich auf einige Projekte aufmerksam gemacht, die inspirierend und kritisch das Thema Crowd und Art und neue Formen der Partizipation in der Kunst heute thematisieren und dessen Wissen darum ich hier teilen möchte.
Zum Beispiel denke ich an die Arbeit Social Soul von Lauren McCarthy (US) und Kyle McDonald (US). Social Soul ist eine Auftragsarbeit von TED 2014 und Delta Air Lines (offizieller Sponsor von TED). Es ist eine Installation aus Monitoren und Spiegeln, die den Twitter-Stream einer Person in einer 360° Environment (im wahrsten Sinne des Wortes) widerspiegelt und visualisiert und im System vorort speichert. Sobald eine Person mit ähnlichen, algorithmisch errechnet vergleichbaren Ergebnissen erkannt wird, wird vom System vorgeschlagen, dass sich diese beiden Personen real treffen.
GOTEO – eine Crowdfunding und Crowdsourcing Plattform, die von dem spanischen Künstlerkollektiv Platoniq initiiert wurde – wird beim Prix Ars Electronica 2014 (Kategoerie Digital Communities) mit dem Award of Distinction ausgezeichnet. Das herausragende dieser Plattform ist nicht die Maximierung von Gewinn einzelner Personen oder Projekte, sondern „it implements the crowd-funding model from an open-source framework. It focuses on funding projects that can have a strong local, regional and national impact. It empowers citizens and communities to address the mounting challenges of Spain in the current context of financial crisis and social cuts”, wie im Jurystatement treffend zu lesen ist und richtet sich verstärkt an Künstler/innen und Kreative im Allgemeinen, die mit entsprechendem Hintergrundwissen zu Crowdfunding unterstützt werden.
Ein weiterer Wettbewerb, der vom ZKM – Zentrum für Kunst und Medientechnologie im Jahr 2011 ins Leben gerufen wurde ist der ZKM App Art Award. 2011 war der Bewerb noch untergliedert in die Bereiche technische Innovation, künstlerische Innovation und Nachwuchspreis und die Kategorien veränderten sich im Jahr 2012 erstmals hin zu „Künstlerischer Innovationspreis“, „Sonderpreis Game Art“ und „Sonderpreis Cloud Art“. Im Jahr 2013 wurde erstmals anstatt „Cloud Art“ ein „Sonderpreis Crowd Art“ ausgeschrieben. Es ist interessant zu beobachten, dass mit Cloud Art die vormals gemeinte reine Vernetzung von Geräten hin zu einer Wichtigkeit des Beitrages durch die Benützer/innen aufgewertet wurde und in einer entsprechenden Wortschöpfung wie Crowd Art ihren Niederschlag fand. Heuer wurde Last Clock als App beim ZKM App Award ausgezeichnet. Last Clock (2002) von Jussi Ängeslevä (FIN) & Ross Cooper (UK) ist ja eigentlich eine mehr als 12 Jahre alte, aber immer noch eine der herausragendsten künstlerischen Installation, wenn es um die Visualisierung von Zeit geht (Honorary Mention Prix Ars Electronica 2003). Stunden, Minuten und Sekunden werden in konzentrischen Kreisen dargestellt mittels eines live Videobildes. Je nachdem, wo sich die „Uhr“ befindet, zeichnet sie ihr Umfeld ab und gibt somit gleichzeitig Information über Zeit und Raum. Da Jussi Ängeslevä, Ross Cooper und Danqing Shi im Jahr 2011 diese Arbeit auch als App für iPhone und iPad entwickelten, wird diese Uhr ein sehr persönliches Instrument zur Zeit- und Raummessung und der ZKM App Award honoriert diese Leistung mit dem künstlerischen Innovationspreis 2014.
Nicht, weil ich vom ZKM sprach, dass nun auch von Ars Electronica die Rede sein muss. Viel wichtiger ist, dass das Projekt Bienenstock (App und Installation) der Ars Electronica Linz erwähnt wird, welches als experimentelles Setting Bilder und Videoaufnahmen von Ereignissen aus der Sicht einer Vielzahl von BesucherInnen sammelt und kontextualisiert. War das Projekt Ars Wild Card der Ars Electronica (das leider mittlerweile zu Tode gespeichert wurde) auf Bilder beschränkt, so können im Bienenstock auch Videos gesammelt werden. Wie Bienen aus ihrem Stock konnten angemeldete Teilnehmer/innen mit Kameras ins Festivalgeschehen ausschwärmen. Dort sammelten sie an Bildmaterial, was ihnen spannend und erzählenswert erschien, um ihre Aufnahmen nach getaner Arbeit in einen großen gemeinsamen Bilderpool abzulegen und auszutauschen. Beim Festival Ars Electronica 2014 wurde (nach einem ersten Probeeinsatz im Jahr 2013) das System Bienenstock im gesamten Festivalkontext eingesetzt und wurde auch als Status-Quo-Kommentation zur theoretischen Reflexion beim Future Innovator Summit genutzt.
Im letzten Drittel des Jahres angekommen, möchte ich auch auf ein eigenes Projekt aufmerksam machen: My Turked Ideas. My Turked Ideas ist eine diskursive Installation, die als ein Teil eines künstlerischen Forschungsprojektes angelegt ist, um über einen längeren Zeitraum neue (unwissentliche, unfreiwillige) Formen der Partizipation auszutesten. Dass Partizipation in der Kunst auch das Auslagern von Tätigkeiten an Andere bedeuten kann, ist nichts Neues und spätestens seit den Projekten wie The Sheep Market und folgende des amerikanischen Künstlers und Datenvisualisierungsakrobaten Aaron Koblin wissen wir, dass es Plattformen online gibt, die dies unterstützen. In der Beschäftigung mit der Plattform Amazon Mechanical Turk und der künstlerischen Kritik an den neuen Arbeitsverhältnissen und dem System des Crowdsourcing im Besonderen sowie Fragestellungen zur Entwertung von Autorenschaft wollte ich austesten: Was passiert, wenn ich nicht ein von mir vordefiniertes Kunstwerk erarbeiten lasse, sondern die Idee zu einem Kunstwerk ankaufe? Wem gehört dann eigentlich die Idee?
Formen der Appropriation thematisierte auch das italienische Künstlerkollektiv IOCOSE mit ihrer Arbeit A Contemporary Portrait of the Internet Artist und sie fragen: Wie wird eigentlich der/die Künstler/in heute repräsentiert? Wenn man über die Google Bild-Suchmaschine nach „Künstler“ sucht, so findet man Bilder von Malern und Zeichnern mit Pinseln und Stiften in der Hand und meist vor oder neben ihren von Hand gestalteten Werken posierend. Der Computer, elektronische Hilfsmittel zur Bildbearbeitung oder –generierung sind in den Repräsentationsbildern zur Kunst nicht vertreten. Die italienische Künstlergruppe IOCOSE hat sich genau dieses Phänomen näher angesehen, indem sie Bilder von Getty Images Archiv an schlecht bezahlte chinesische Auftragsmaler verschickten, um diese Fotos samt Getty Images Registrierungscode auf Leinwand malen zu lassen. In einer Ausstellung stellen sie Werke unter ihrem Namen zur Diskussion.
Zu guter Letzt möchte ich noch auf einen meiner „beloved artists“ verweisen und auf sein erst vor ganz kurzem vorgestelltes Projekt: Paolo Cirio´s Daily Paywall Project. Vielleicht haben sie aus den Meldungen rund um Weihnachten über das Projekt schon gehört. Kurz erklärt: Das Problem der Paywalls im Internet kennt jeder: man scheitert oft daran, die wirklich interessanten Artikel oder Abhandlungen nur gegen Bezahlung lesen zu können. Und das System des Crowdfunding kennt man auch: Möglichst viele Personen über das Internet zu finden, die kleine Mengen an Geld für eine Idee zu einem Projekt spenden, um es realisieren zu können. Genau mit dieser Systematik arbeitet der Künstler Paolo Cirio, wenn er die paywalls von The Wall Street Journal, Financial Times oder The Economist unterwanderte, die Artikel gratis zur Verfügung stellte und mit diesen Gelder dafür jene Personen honorierte, die Artikel lasen und kritische Rückmeldungen gaben. Cirio überzeichnet damit den herkömmlichen Wertschöpfungsgedanken und meint, dass wichtige Informationen generell jeder Person gratis zugänglich sein müssen und dass wir uns eher Gedanken machen sollten, wie wir Interesse im Bildungssystem schüren, als dieses mit ökonomisch orientierten Barrieren zu versehen.
Somit ende ich meine Tour durch das Jahr indem ich noch eine liebe Bekannte, Honor Harger, zitieren möchte, die gerade eben via Facebook ihrerseits Nick Cave sprechen ließ und schließe mich ihr an: Hoping 2015 is a “shimmering space where imagination & reality intersect” und freue mich wie immer über Anregungen und Austausch auch im Jahr 2015.
Manuela Naveau