Ich beobachtete, dass partizipative und offene Schöpfungsprozesse an künstlerischen Werken in den letzten Jahren sich massiv verbreiteten. Die KünstlerInnen verstanden diese Möglichkeit als neue Motivation für ihren bisher oft hermetisch abgeschlossenen Schaffensprozess und suchten die Kommunikation und das Experiment mit vielen bekannten und unbekannten Personen. Ich beobachtete aber auch, dass gerade diese partizipativen Werke gerne gesehen werden von politischen Auftraggebern wie z.Bsp. einer Stadtverwaltung, von Firmen oder kulturellen Institutionen, die in dem Involvieren von vielen Personen (z. Bsp. der eigenen Bürger, der eigenen und möglichen Kunden, der Cultural Community u.v.m.) einen Werbeffekt für sich erkannten und nicht unbedingt am Kunstwerk an sich oder an dem/der KünstlerIn interessiert waren. Leider beobachtete ich auch eine gewisse unkritische und romantisierende Haltung von KünstlerInnen, die – fasziniert von der Möglichkeit eines gemeinschaftlich erarbeiteten künstlerischen Werkes – ihren künstlerischen Anspruch minimierten.
Zwei Faktoren sind laut Susanne Jaschko und Lucas Evers` Ausstellung und Katalogstatements „el proceso como paradigma / process as paradigm“ (2010) dafür verantwortlich, dass heute der Zugang sowie die Partizipation an Kunstwerken im Ansteigen ist: Einerseits sei das Kunstsystem durchrüttelt aufgrund des Fehlens von Strukturen bezüglich Urheberschaft sowie simplen Strukturen bezüglich Copyrights. Andererseits sei im Kunstbetrieb ein genereller Wandel vom Betrachter hin zum „involvierten Agenten“ zu bemerken.[1] Diese beiden Besonderheiten möchte ich um einen technologischen Faktor ergänzen, denn durch das Web 2.0 in den ersten Jahren unseres neuen Jahrtausens wurden kollaborative Kommunikations- und Arbeitsformen zugänglich für eine breite Masse an Personen.
Im Zuge meiner ersten Vorrecherchen zu diesem Thema hatte ich grundsätzlich künstlerische Projekte gesucht, die mit Online-Partizipation zu tun haben. Ich schränkte mich in einer ersten Selektion weder ein nach der Art der Partizipation noch nach der Form des Prozesses oder Resultates des Projektes.
Ich erkannte, dass die Fragen „Wie wird partizipiert?“ und „Wie wird kreiert?“ mir helfen können, eine Unterscheidung und Klassifikation der Projekte vorzunehmen. Grundsätzlich ergab sich für mich daraus folgende Differenzierung: (Da ich selbst gerade am Erarbeiten der Termini zur Klassifikation bin, würde ich mich über Hinweise freuen!)
AKTIVE PARTIZIPATION > Crowd Creation Projects, Crowd Collection Projects, Break Free Projects
PASSIVE PARTIZIPATION > Crowd Attendance (bewusst/unbewusst)
Crowd Creation Projects sind jene künstlerischen Projekte und Prozesse, die der/die KünstlerIn nur partiell beeinflussen kann. Der Künstler/die Künstlerin sind Auslöser und starten einen Prozess mit vielen aktiv partizipierenden Personen, die aufeinander linear im Schöpfungsprozess reagieren. Es entsteht ein Werk, das sich verselbständigt und mehr oder weniger unkontrollierbar für den Künstler/ die Künstlerin wird. Die partizipierenden Personen bauen auf Schöpfungen ihrer vorherigen KollegInnen auf und verändern diese weiter und weiter.
Crowd Collection Projects meint jene Art der Partizipation, bei welcher der/die KünstlerIn nach einem Beitrag fragt (gerichtet an eine bestimmte oder unbestimmte Menge an Personen) und viele Beiträge zu einem Kunstwerk formt. Die kunstschaffende Person ist ein/eine SammlerIn von Bildern, Videos, Zeichnungen, Soundfiles, Textbeiträgen, Objekten,…) und fügt in einem weiteren Schritt die übermittelten Fragmente zusammen zu einem Werk. Er/sie hat das entstehende Kunstwerk unter Kontrolle.
Break Free Projects beschreibt jene künstlerischen Projekte und Prozesse, die von KünstlerInnen als eigenständiges Werk geschaffen wurden und von einer Masse weiterverwendet wird. Die künstlerische Arbeit wird von Personen entdeckt, die das Projekt weitertragen und sogar weiterentwickeln. Der /die Künstlerin haben nur mehr partiell Einfluss auf die Verselbständigung (break free) der künstlerischen Arbeit.
Crowd Attendance Projects unterscheiden sich grundsätzlich in einer bewussten oder unbewussten Anwesenheit von Personen. Es sind Kunstwerke, bei denen einerseits der Akt der Kreation im eigentlichen Sinn abgeschlossen ist, das Kunstwerk jedoch erst „lebt“, sobald Personen (in diesem Sinn auch Publikum genannt) das Werk zum Einsatz bringen (bewusste und gewünschte Anwesenheit). Hier fallen meiner Meinung nach z. Bsp. alle interaktiven künstlerischen Arbeiten hinein.
Andererseits greifen Künstler in ihren Arbeiten auf eine Masse an Personen zu, die sich dessen gar nicht bewusst sind, jedoch einen Beitrag zum Kunstwerk liefern, von dem sie gar nichts wissen.
[1] Der Katalog erschien zur Ausstellung „process as paradigm“ LABoral Centro de Arte y Créacion Industrial, Gijón; Die Ausstellung fand statt vom 23. April bis zum 30. August 2010